Burggarten
Burggarten Dreieichenhain

Mittelalterliche Kräutergärten
Die Rosenhecke
Der Rosenhag
Der Bauerngarten
Der Hexengarten
Die Wildflora
Pflanzenübersicht in der Hayner Burg
Zum guten Schluß

Der Burggarten

Wer heute die Burg Dreieichenhain besucht, findet dort nicht nur die Reste des altehrwürdigen Gemäuers aus der Zeit des Frühmittelalters, sondern die Ruinen sind mit Leben erfüllt durch die behutsame und wohldurchdachte gärtnerische Bepflanzung der sie umgebenden Anlagen, angefangen vom Kräutergarten bis zum Rosenhag. Planung und Ausführung sind hervorragend gelungen, alles ist harmonisch, nichts ist aufdringlich, das Ganze stimmt in Farbe, Wuchs und Ausmaß.

Aus dem Vorwort von Hedi Grimm(Diplom-Landwirtin und Buchautorin), zu obiger Publikation von Lore Wirth mit gleichem Titel (vergriffen)

Ein Blick auf die Burggeschichte

"Rhein-Main-Gebiet...?"
"Ballungsraum, im Zentrum die ausufernde Wolkenkratzerstadt Frankfurt, eingeschnürt durch das dichte Netz der Autobahnen und Eisenbahnlinien..., angebunden an den zweitgrößten Flughafen Europas..." Sind dies auch für Sie, lieber Leser, die Assoziationen, die Sie spontan mit dem geographischen Begriff einer bestimmten westdeutschen Tieflandbucht verknüpfen?

Verlassen Sie, zumindest in Gedanken, den brodelnden Kessel der Mainmetropole und lassen Sie sich nach Süden entführen. Nur 15 km entfernt, genau auf dem halben Weg nach Darmstadt, gibt es ein kleines Städtchen namens Dreieichenhain, am südlichen Rande des Rhein-Main-Gebietes gelegen, heute Ortsteil der Stadt Dreieich (Kreis Offenbach). Versäumen Sie nicht, nach einer Viertelstunde Autofahrt hier haltzumachen. Es lohnt sich.

Abseits vom großen Verkehrsstrom, in einer waldreichen Gegend gelegen, ist dieser Ort ein sorgsam gehüteter Schatz mittelalterlicher Fachwerkarchitektur, noch heute umkränzt von seiner wohlerhaltenen Stadtmauer. Was Dreieichenhain zudem noch besonders anziehend macht, ist die ins Grüne gebettete Burgruine Hayn in der Dreieich. Mehr als 900 Jahre ist sie alt und bildete einst die Keimzelle der Siedlung.

Die Entstehungsgeschichte der Burg ist an den eindrucksvollen Resten der Bauwerke noch gut ablesbar: Der Runde Turm oder Bergfried entstand um 1170/80, der Palasbau mit Kellergewölbe in den darauffolgenden 200 Jahren, die Turmhügelburg jedoch schon um 1085.

Letztere ist eines der beiden ältesten in Deutschland noch erhaltenen Beispiele für die frühe Form der Steinburg. Sie bestand, bevor sie im 18. Jahrhundert einstürzte, aus einem etwa 25 m hohen fünfstöckigen Viereckturm mit Ringmauer und Wassergraben. Als Wohn- und Wehranlage auf künstlich aufgeschüttetem Hügel (frz./engl. ímotte'=Turmhügelburg) war sie im frühen Mittelalter typisch für ganz Westeuropa. Heute bildet die letzte noch stehengebliebene Turmwand den einzigartigen Hintergrund der Freilichtbühne.

Die eigentlichen Ursprünge der Burg reichen aber noch viel weiter zurück. Kaiser Karl der Große soll hier im Reichsforst Dreieich sein Jagdhaus besessen haben, so berichtet die Legende. Das kaiserliche Jagdgebiet (Wildbannforst) erstreckte sich vom Main bis zum Odenwald und erhielt nach Zusammenlegung von drei Jagdbezirken seinen Verwaltungssitz im "Hayn", eben an jenen Punkt, wo sich schon in frühkarolingischer Zeit die herrschaftliche Jagdunterkunft befunden hatte.

Die Verwaltungsbeamten oder Reichsministerialen hatten hier ihren Stammsitz und entwickelten die Gesamtanlage der Burg vom schlichten, nur mit Wassergraben und Dornenhecken befestigten Vogteihof über die Turmhügelburg bis zur Wasserburg mit weitläufiger Befestigungsmauer.

Die Burg Hayn in der Dreieich hat trotz ihrer stetig sich wandelnden Formen und ihrer wechselvollen Geschichte bis heute ihre sprühende Lebendigkeit von einst bewahrt. Sie bleibt, auch als Ruine, das pulsierende Herz eines Ortes mit vielen malerischen Gassen und Torbögen. Aquarellmaler und Hobbyfotografen finden manches reizvolle Motiv. Musik- und Theaterfestspielwochen, Pfingstkerb, Burgfest, Ausstellungen im Dreieich-Museum sind nur ein Teil des jährlichen Veranstaltungsprogramms.

Über zweihundert Jahre alt ist die schöne dreibogige Steinbrücke, Nachfolgerin der historischen hölzernen Zugbrücke. Sie bildet den Zugang zum inneren Bereich der Burganlage. Unter der Brücke verlief im Mittelalter der breite Wassergraben, doch schon im 18. Jahrhundert war außer einem spärlichen Rinnsal davon nichts mehr übrig.

Der ehemalige Burggraben wurde 1967 mit Erdmassen aufgefüllt und mit Rasenflächen und Baumgruppen in eine Parkanlage umgewandelt. Der einzige Überrest der ehemaligen Wasserverteidigungsanlage ist der große Burgweiher (Woog). Mauern, Türme und Bäume spiegeln sich zuweilen in seiner stillen Wasserfläche.

Das grobkörnige, rötlich-sandsteinartige Baumaterial der Burgmauern wird in der Geologie als das "Rotliegende" bezeichnet, eine sehr verwitterungsfeste Gesteinsart. Da die Burg niemals Belagerungen ausgesetzt war, hätte das grob behauene Kleinquader-Mauerwerk gut den Jahrhunderten getrotzt und dem Verfall widerstanden, wenn man nicht große Teile der Türme und Palasmauern gegen Ende des 18. Jahrhunderts niedergerissen und die ganze Burganlage als billigen Steinbruch benutzt hätte.

Denkmalschutz und Schaffung eines mittelalterlichen Gartenbildes - verträgt sich das?

Mit den Restaurierungsarbeiten im 20. Jahrhundert haben auch Überlegungen zur Parkgestaltung eingesetzt. Bereits nach dem ersten Weltkrieg wurde nach Abschluß der archäologischen Grabungen eine Freilichtbühne mit halbkreisförmig angeordneten Sitzreihen in die zentrale Rasenfläche eingegliedert. Der ehemalige flache Hügel der Turmburg und der Ringmauergraben wurden zur Bühnenfläche und zum Orchestergraben umfunktioniert.

Viel hat sich seither im inneren Bereich des Burggartens geändert. Die Reihe der Konzerte, Festspielaufführungen oder Volksfeste reißt in den Sommermonaten nicht ab. Die Besucherzahlen gehen in die Zehntausende und daß aus bühnentechnischen Gründen weitere bauliche Veränderungen in Erwägung gezogen werden, stimmt nachdenklich. Ein starker Abnutzungseffekt der Grünflächen ist nicht zu vermeiden, und er wird noch weiter zunehmen.

Der wachsende Zustrom von Festspielbesuchern hat allerdings seinen guten Grund: Kunstgenuß bei ausgesucht guten, international besetzten Aufführungen, dazu noch vor einer 900 Jahre alten Bühnenkulisse; in den Pausen Lustwandeln im Foyer des angestrahlten Palas oder im Rosengarten ... Die Theateratmosphäre im Kreise der alten Burgmauern dürfte in warmen Sommernächten ihresgleichen suchen.

Vor 1984 wäre es noch ein Wagnis gewesen, in der verwunschenen Gartenwildnis etwas anderes als Laientheater oder Blasmusik mit einheimischem Orchester aufzuführen.

Blicken wir noch einmal zurück in jene Zeit. Eine weitere Etappe der Gartensanierung und Neugestaltung begann - damals allgemein beurteilt als ein ungewöhnliches, ja unerhörtes Vorhaben. Eine Arbeitsgemeinschaft, bestehend aus Vorstandsmitgliedern des Geschichts- und Heimatvereins (seit 1931 Privateigentümer der Burg), der Verfasserin, zwei Lehrkräften und Schülergruppen der örtlichen Gesamtschule, ließ im Verlauf von drei Jahren im Rahmen eines Unterrichtsprojektes ein Stück Mittelalter wieder aufleben.

Durch Mitarbeit von freiwilligen Helfern und zu denkbar niedrigen Baukosten ist aus einem verwahrlosten, mit Brennessel, Gestrüpp und Gehölzwildwuchs zugewucherten Gelände etwas ganz anderes entstanden: ein "Lustgarten", wie ihn Burgherren im Mittelalter schätzten und liebten. Das hieß aber auch, daß ein wichtiges Merkmal beachtet werden mußte. Eine "gewisse natürliche Wildheit" (vgl. Hennebo: Gärten des Mittelalters) sollte dem Burggarten erhalten bleiben. "Gartengestaltung - ja, jedoch möglichst naturnah", wurde zu unserem Leitgedanken.

"Ein wonniglicher Garten soll haben Violen und Rosen, Lilien, fruchttragende Bäume, grünes Gras und einen fließenden Brunnen", heißt es in einer zeitgenössischen Schilderung. "Man aß, ruhte, spielte und liebte in den sommerlichen Gärten und man badete auch in ihnen", schreibt Hennebo.

Innerhalb der Hayner Burgmauern gibt es nur einen Schöpfbrunnen, und man darf wohl annehmen, daß ein Badebecken für Männlein und Weiblein im Geschmack des Mittelalters hier nie existiert hat. (Der berühmte Waschzuber unter dem Apfelbaum für das Bad des Ritters aus der Manesse-Handschrift zählt nicht!). Doch ansonsten treffen alle genannten Merkmale auch heute noch für den Burggarten zu. Was bis in unsere Zeit von den einstigen Bestandteilen der Burg übriggeblieben ist, bildet mit Rasen, Bäumen, Brunnen, Blumen und den alles umschließenden Mauern das Grundmuster einer Vielzahl von denkbaren mittelalterlichen Lustgärten. Es kam bei unseren Planungen jetzt nur darauf an, noch einige fehlende Teilstücke einzufügen, um das Bild eines solchem Gartentyps ohne einschneidende bauliche Veränderungen zu verwirklichen.

Die Frage "Rekonstruktion oder - wenn nicht möglich - Neuschöpfung mit stilgerechten Mitteln" erfordert gründliche Überlegungen. Wir haben hier ein Problem vor uns, das auch in England, einem geschichtsbewußten Land, intensiv diskutiert wird.

Ein Kernsatz des englischen Gartenhistorikers John Harvey ist dort zitiert, der mir auch für den Hayner Burggarten beherzigenswert erscheint. Historische Gärten können, sagt er, selbst dann, wenn ein früher dort existierender Garten dokumentarisch nicht nachweisbar ist, trotzdem in angemessener Stilform neu entworfen und in das Gesamtbild eingefügt werden. Ein solches Unterfangen habe sogar, wie Harvey behauptet, einen pädagogischen Zweck, nämlich den, ein Lehrbeispiel des (zumindest theoretisch denkbaren) zeitgenössischen Gartens so stilgetreu und exakt wie möglich vorzuführen. Bis zu dieser letzten Konsequenz sind wir Harvey nicht gefolgt; schon deshalb nicht, weil es für den Garten im Mittelalter keine strengen Gestaltungsregeln gab, wie z.B. im Zeitalter der Renaissance oder des Barock, sondern stattdessen unendlich viele Variationsmöglichkeiten mit bestimmten Formelementen, immer in enger Verbindung mit den individuellen örtlichen Gegebenheiten. Das wichtigste dieser Elemente ist sicher der Kräutergarten, und er stand auch am Anfang unserer gemeinsamen Arbeit.

Bei aller Freude an solch schöpferischem Tun durfte man eine Tatsache jedoch nie vergessen: Die Jahrhunderte haben im Burggelände deutliche Spuren hinterlassen, am meisten das 20. Jahrhundert. Das Mittelalter zurückzuzaubern ist (zum Glück?) nie mehr möglich. Folglich müssen wir - kompromißbereit - die technischen Errungenschaften von heute mit in das Bild einbeziehen. Beispiele: Straßenbeleuchtung, holprige asphaltgedeckte Zufahrtswege, ein neuzeitliches Gittertor am Brückeneingang, schlechtplatzierte Müllbehälter, häßliche Parkbänke und Papierkörbe. Solange letztere tatsächlich benutzt werden, empfinden wir sie nicht unbedingt als Störfaktor im Gesamtkonzept.

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