Kräutergarten
Burggarten Dreieichenhain

Mittelalterliche Kräutergärten
Die Rosenhecke
Der Rosenhag
Der Bauerngarten
Der Hexengarten
Die Wildflora
Pflanzenübersicht in der Hayner Burg
Zum guten Schluß

Der Kräutergarten

Die Zeit der Hochblüte der Burg Hayn - frühes Mittelalter bis Renaissance - war eine Zeit, in der man als Burgbewohner Selbstversorger sein mußte. Weitab von menschlichen Siedlungen war man darauf angewiesen, Heilpflanzen, Gewürzkräuter und auch einige Zierpflanzen mit christlicher Symbolbedeutung selbst anzubauen. Der Kräutergarten, im Mittelalter auch Wurzgarten genannt, war geradezu lebenswichtig. Zur Entwicklungsgeschichte dieser historischen Gartenform bemerkt Wolfgang Sörrensen:

"Der Wurzgarten als medizinischer Garten hält sich noch sehr lange... Ihn gab es sicher schon früh beim Gutshause wie später bei Burg und Schloß, wo er oft in räumlicher Nähe der Kemenate, der Gemächer der Frau, erwähnt wird. Das ergab sich von selbst, weil der Frau von alters her die Aufgabe des Hausarztes zufiel. Sie mußte zur Hand haben, was nötig war beim ziemlich großen Kreis, der zu Wirtschaft, Wehr und Haus gehörte..."


Vorbilder für mittelalterliche Kräutergärten

Woher stammten nun in jener Zeit die Anregungen zur Anlage und Pflege von Kräutergärten? Karl der Große, der legendäre Gründer der Hayner Burg, hat um 795 eine Landgüterverordnung erlassen, das sogenannte "Capitulare de villis vel curtis imperii". Dieser in 70 Abschnitte eingeteilte Codex von Vorschriften war für die kaiserlichen Gutshöfe und die Reichsburgen maßgebend und die "Dienstmannen" hatten sie - zusammen mit ihren Hofleuten - strikt einzuhalten.

Da das "Capitulare" Rechtskraft im ganzen Frankenreich mit Ausnahme Italiens hatte, können wir annehmen, daß eine Reihe von Anweisungen auch am Verwaltungssitz des Wildbannforstes Dreieich zur Anwendung kamen, z.B. Schutz und Pflege der Wälder und des Jagdwildes, Fischzucht in den Teichen, Haltung und Abrichtung der Hundemeute, Weinbau und Kellerei, Imkerei u.v.a. Im letzten Abschnitt stehen schließlich die Namen von 73 Gemüse-, Gewürz- und Heilpflanzen sowie Obst- und Beerensorten. Viele der Pflanzen stammten aus dem Mittelmeerraum und wurden im klösterlichen Landbau nördlich der Alpen schon sehr viel früher kultiviert, ein Grund, warum Karl der Große diesem Beispiel folgte.

Der Nutzpflanzenliste vorangestellt ist der schöne Satz: "Volumus quod in horto omnes herbas habeant, id est 1) lilium, 2) rosas, 3) fenigrecum ...", d.h. "Wir wünschen, daß sie (nämlich die Verwaltungsbeamten) im Garten alle Kräuter haben (anbauen), 1) Lilien, 2) Rosen, 3) Griechisch-Heu etc.", und danach richtete man sich auf den Krongütern, falls das Klima es zuließ.

Auf die Bedeutung dieses ältesten Dokumentes zur Geschichte des Landbaus (Vgl. C. Brühl) und seinen Bezug zur Hayner Burg habe ich schon 1980 anläßlich der ersten Überlegungen zur Burggartengestaltung hingewiesen (Vgl. Lore Wirth, "Bäume im Hayn").

Aus der Pflanzenliste im Capitulare und aus dem ca. 350 Jahre später entstandenen naturheilkundlichen Werk "Physica" der Klostergründerin und Äbtissin Hildegard von Bingen (1098 - 1179) wurden für den Hayner Kräutergarten etwa 30 geeignete Pflanzenarten ausgewählt und nach eigener Anzucht aus Samen auf dem Beet vor dem Bergfried aufgepflanzt.

Authentisch überlieferte Gartenanlagen aus dem Mittelalter, von denen man sich Anregungen, besonders für die Gestaltung von Kräutergärten, holen könnte, gibt es heute nicht mehr. Auf der Suche nach historischen Vorbildern haben wir deshalb vorwiegend kunst- und literaturgeschichtliches Quellenmaterial ausgewertet.

Wie sehr das Interesse an mittelalterlichen Gartenformen wächst, sollen einige Beispiele neugeschaffener Gärten zeigen. Kloster- oder Apothekergärten sind nicht mit einbezogen. Seit langem bekannt ist der Burggarten innerhalb der Zwingermauern auf der Marksburg bei Braubach/Rhein, ebenso der mittelalterliche Rosengarten im Rosarium des Vereins Deutscher Rosenfreunde, Dortmund.

Von einer Gruppe des Arbeitskreises Dörfliche Kultur, Marburg, nämlich dem Heimatverein Altwied (Westerwald), wurde 1989 in der Burgruine gleichen Namens ein Kräutergarten angelegt, nachdem jahrelange Sanierungsarbeiten das verwilderte Gelände wieder zugänglich gemacht hatten. Betreuung des Gartens auf lange Sicht ist wie vielerorts problematisch.

Ein interessierter Arbeitskreis von Frauen hat einen Burggarten an der Burg Stadeck/Elsheim (Rheinhessen) gestaltet, der 1993 eröffnet wurde. Hier liegt der Hauptakzent ebenfalls auf dem Kräutergarten. Ein Rosenhag ist in der Planung. Schon von 1985 datiert der "Hexengarten" der Bundesgartenschau Berlin, dargestellt in einer nachgebildeten Burghofruine. Auf der Löwenburg im Bergpark Kassel-Wilhelmshöhe, einer künstlichen Burgruine vom Ende des 18. Jahrhunderts, ist die Rekonstruktion eines Burggartens im Stil des Mittelalters geplant. Turnierplatz und Tiergarten vervollständigten einstmals die Anlage und sind heute noch andeutungsweise erkennbar.

Frankreich besitzt u.a. einen bemerkenswerten Garten im Hof des Musée de l'Oeuvre Notre-Dame (Frauenhaus) in Straßburg. Gleichwertige Beispiele gibt es in England: Queen Eleanor's Garden in Winchester Castle/Hampshire und der Garten bei Stafford Castle/Staffs. Die Formenvielfalt der hier aufgezählten Gärten ist erstaunlich groß, denn die Umsetzung der nur deskriptiv überlieferten Stilmerkmale läßt uns heute viel Spielraum. Wo gibt es noch weitere neugeschaffene Gärten? Erfahrungsaustausch wäre wertvoll.

Wenden wir uns nun dem Kräutergarten als wesentlichstem Element des Burggartens zu und betrachten wir genauer die in Frage kommenden Gestaltungsmöglichkeiten. Einmal gab es die schachbrettartige Aufteilung in einzelne Beete, getrennt durch Wege. Sie waren für jeweils eine Heilpflanzenart vorgesehen. Diese Gartenform war typisch für die Klöster, war aber auch in Burggärten anzutreffen und bildete vermutlich das Bindeglied zwischen den streng gegliederten Gartenanlagen der Antike und denen der Renaissance oder des Barock.

Die zweite Form - auf mittelalterlichen Tafelgemälden kann man sie noch häufiger entdecken - ist der "naturnahe" Marien- oder Paradiesgarten. Er war nicht geradlinig aufgeteilt wie der Nutzgarten, sondern wurde meist als üppig blühende Blumenwiese dargestellt, bevölkert von prächtig gekleideten Heiligenfiguren. Das war kein Traumgebilde vom ersehnten Paradies, sondern ein getreues Spiegelbild der damals üblichen Lust- oder Liebesgärten der ritterlich-höfischen Gesellschaft. Dieses mehr zufällig anmutende Gestaltungsprinzip ist charakteristisch für viele Gartendarstellungen der zeitgenössischen Malerei. Welcher verborgene christliche Symbolgehalt dieser scheinbaren Wildnis zugrunde lag, ist ein interessantes Thema, soll hier aber nicht weiter untersucht werden.

Zu den typischen Stilelementen der Gärten gehörte das erhöhte Bankbeet. Meist wurde der sonnigste Platz in der Burg hierfür reserviert. Niedrige Trockenmauern oder Holzplanken gaben dem Beet seinen Halt. Daß Küchenkräuter und Heilpflanzen auf solchen warmen Beeten gut gedeihen, das wußte man schon damals.

Eine Variante zum Bankbeet gab es in Form der Rasenbank. Sie hatte oft eine schlichte Rechteck- oder auch luxuriösere Trapezform und war auf der Sitzfläche mit Gras und flachwachsenden Duftkräutern weich gepolstert. Auf vielen der Marien- oder Liebesgartenbilder ist sie als behaglich-repräsentativer Sitzplatz der dargestellten Hauptfiguren zu erkennen.

Ein anschauliches Beispiel für diese Gartenform mit Blumenwiese und Bankbeet ist im Frankfurter Städelschen Kunstinstitut zu sehen. Dort hängt das "Paradiesgärtlein" des Oberrheinischen Meisters, entstanden um 1410/20. Auf diesem Bild thront die Muttergottes nicht auf dem erhöhten Sitz im Hintergrund, sondern hat sich - in demütiger Haltung - auf dem Boden, nämlich inmitten der bunten Blumenwiese niedergelassen. Ein solcher farbiger Blütenteppich gibt nach Dieter Hennebo - abgesehen vom symbolischen Gehalt - einen guten Beleg "...für die unkomplizierte, unmittelbare Nutzung des mittelalterlichen Gartens als Wohn- und Lebensraum..."; sie komme, meint er, "tatsächlich unserer Gartennutzung von heute sehr nahe".


Planung und Ausführung des Hayner Kräutergartens

Aus mehreren Gründen haben wir uns nicht für die in Quadrate regelmäßig aufgeteilte Gartenform entschieden, sondern für die zweite, eher informelle Gestaltung. Die Art der Gruppierung von Blütenpflanzen, Zwergsträuchern und Strauchrosen erscheint fast zufällig, ist aber wohldurchdacht.

Das Hayner Burggelände ist Tag und Nacht für das Publikum frei zugänglich; schon deshalb kam die leicht begehbare Aufteilung nach Art des Apothekergartens nicht in Frage. Stattdessen war es sinnvoller, ein dichtbewachsenes und bunt blühendes Kräuterbeet im Sinne des Paradiesgartens zu schaffen. Es ist zwar wesentlich schwieriger zu pflegen, hält jedoch Beschädigungen durch Rowdies oder gedankenlose Gartenbesucher in Grenzen.

Grenzenlos ist freilich die Geduld, die manches Mißgeschick und viele Enttäuschungen ertragen half und noch hilft; am schwierigsten war es, die Geduld überhaupt erst einmal zu erlernen. Kein anderer Spruch als jener der Frankfurter Blumenfreundin und Kupferstecherin Maria Sybilla Merian (1667 - 1717) sagt es besser:

"Patientia ist ein gut Kräutlein".

Einige Jahre nach der Bepflanzung ist nun alles zu einem geschlossenen Ganzen zusammengewachsen. Umrahmt von der Burgruine und dem noch immer reichen Bestand an heimischer Wildflora entstand eine botanisch lehrreiche Beetanlage. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, zeigt aber viele interessante Pflanzenarten, die z.T. aus dem Mittelmeerraum stammen und häufig im mittelalterlichen Kräutergarten gezogen wurden.

Steckschilder zeigen die botanischen Namen, so daß der Betrachter sich einen guten Überblick verschaffen kann. Das Kräuterbeet wurde als flache Böschung aufgeschüttet, und zwar aus Trümmerschutt, sandiger Gartenerde und großen Mengen verwittertem Kalkmörtelgrus. Bei Restaurierungsarbeiten wird meist tonnenweise lockerer Mörtel aus den Mauerfugen geklopft, und es traf sich gut, daß wir im Jahr 1984 dieses wertvolle Material gleich für die Vorbereitung des wärmespeichernden, wasserdurchlässigen Geröllbodens verwenden konnten. Im windgeschützten Sonnenwinkel zwischen Bergfried und Palasgiebelwand finden trockenheits- und wärmeliebende Pflanzen optimale Lebensbedingungen.

Bei der Planung der Pflanzfläche wurde außer auf die wirkungsvolle Gruppierung von niedrigen Bodendeckern und unterschiedlich hohen Solitärpflanzen sehr viel Wert gelegt auf eine harmonische Abstufung der Farben. Die Kletterrosen vor dem warmroten Mauerwerk sind ein prächtiger Hintergrund für die überschäumende Fülle der aromatisch duftenden Kräuter, von Alant über Muskateller-Salbei, Gamander, Lavendel, Diptam und Pfingstrose bis hin zur Wilderdbeere, einem der geheimnisvollen Symbolmotive der mittelalterlichen Malerei. Viele silberlaubige Polsterstauden und die Blütenfarben von Weiß über Zartrosa bis Blau-lila bilden den Grundakkord des farblichen Zusammenklangs.

Im "Capitulare de villis" stehen zwei Blumenarten an oberster Stelle der kaiserlichen Pflanzenliste: Lilie und Rose. Auch und gerade sie haben beide im Hochmittelalter als Heilpflanzen und christliche Sinnbilder eine besonders große Rolle gespielt und bekamen im Kräutergarten jener Zeit natürlich den ihnen gebührenden Platz.

Auch in die Hayner Burg passen besonders Rosen ganz vorzüglich, denn wir haben hier den natürlichen Standort einer wenig verbreiteten Wildrosenart (R. corymbifera Borckh). Zusammen mit der Madonnenlilie (Lilium candidum L.) wurde also vielen Alten Rosen, sowie Parkrosen und Wildrosenabkömmlingen - z..T. auch aus neuerer Zeit - in der Gartenplanung eine vorrangige Stellung eingeräumt.

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