Stadtbild - einst & jetzt

Bis 1900 war Dreieichenhain ein kleines graues und unscheinbares Städtchen, in dem die Einwohner überwiegend einem landwirtschaftlichen Nebenerwerb nachgingen. In der Altstadt wurden beim Bau der Häuser alle diejenigen mit Fachwerk sofort verputzt, denn der Erbauer galt als arm und war es auch. Obendrein war es auch noch unschicklich, Besitzer eines Fachwerkhauses zu sein. Auf diese Art und Weise gab es eine große Anzahl Fachwerkhäuser, die überwiegend im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verputzt oder übertüncht worden waren. Aber schon bald änderte sich diese Ansicht oder Auffassung der Bewohner und schon nach 1900 wandelte sich das Stadtbild Dreieichenhains sehr entscheidend.
Bereits 1909 wurden einige Fachwerkhäuser freigelegt. Schwärmerisch hieß es z.B. nach der Renovierung des Hauses Fahrgasse 22 im Langener Wochenblatt:
"Welch malerisches Bild müßte die Dreieichenhainer "Zeil" bieten, wenn sämtliche Holzhäuser im Laufe der Zeit in dieser oder ähnlicher Weise hergerichtet werden könnten".
Dieser Wunsch eines Zeitgenossen galt damals noch als "modern" oder gar "verrückt" und konnte sich nur sehr langsam durchsetzen. Aber in den folgenden Jahrzehnten, vor allem in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, verbesserte sich das Stadtbild zusehends. Ein Fachwerkhaus nach dem anderen wurde vom Putz befreit, Fachwerk um Fachwerk wurde freigelegt.
Diese Aktion war ein hervorragendes Beispiel bürgerschaftlichen Engagements. Denn in Dreieichenhain ging diese Initiative der Restaurierung von Fachwerkhäusern von der Bürgerschaft aus. Wenn es damals nach der Stadt Dreieichenhain gegangen wäre, waren fünf "marode Fachwerkhäuser" für die Kommune schon längst reif für den sofortigen Abriß. Daß es nicht dazu kam, waren vor allem der Verdienst und die Bemühungen der "Hayner Initiative" und des neuen Kulturvereins der "Hayner Weiber".
Im folgenden werden einige hervorragende und gelungene Beispiele der Restaurierung von Fachwerkhäusern aufgezeigt, die schon als verloren geglaubt galten.


Objekt Nr. 1

 

 
 
Fachwerkhaus, Fahrgasse 5, um 1907.
Im Jahre 1974 im Besitz der Stadt Dreieichenhain. Diese hatte es angekauft, um an dieser Stelle - nach Abbruch der alten Bausubstanz - ein Jugendzentrum zu errichten. Die Denkmalbehörde hatte dem Abriß des Hauses bereits zugestimmt. Ein noch von der Stadt in Auftrag gegebenes Gutachten erbrachte folgende Nutzungsvorschläge: Heimatmuseum, Haus einer Bürgerinitiative, Gastwirtschaft, Wohnung und Werkstatt eines Handwerkers. Keiner dieser Vorschläge wurde realisiert.
   
Fachwerkhaus, Fahrgasse 5, im Jahre 1976.
Das Haus wurde im Jahre 1975 an Privatleute verkauft und von diesen sorgfältig instandgesetzt. Eine baubegleitende bauhistorische Untersuchung des Gebäudes wurde durchgeführt. Durch die Jahresringanalyse konnte das Erbauungsjahr zuverlässig mit 1561 ermittelt werden. Das Haus selbst ist ein Kleinbürgerhaus, wie es sonst nur im Westerwald oder am Mittelrhein zu finden ist. Es steht mit der Traufseite zur Straße und besitzt einen asymmetrischen Giebel mit Dachabschleppung.


Objekt Nr. 2

 

 
 
Fachwerkhaus, Spitalgasse 6, um 1965.
Das Fachwerk dieses Hauses war seit seiner Erbauung im Jahre 1655 bis 1965 im Laufe der Jahre unter fünf Lagen Putz verborgen gewesen. Bis zu seiner Freilegung des Fachwerks fristete das Haus, wie alle anderen Fachwerkhäuser in der Altstadt, ein Dasein in mausgrauer Unansehnlichkeit. Erst mit Hilfe einer mittels Infrarotfilm gefertigten Thermografie konnte festgestellt werden, daß hinter der vom Zahn der Zeit gebeutelten Fassdade jahrhundertaltes Fachwerk verborgen lag. Das Gebäude ist ein dreizoniges Ackerbürgerhaus mit landwirtschaftlichem Nebenerwerb und hatte früher einen Queraufschluß. Dies bedeutet, daß der Hauseingang von der Straße aus in das Innere des Gebäudes erfolgte.
   
Fachwerkhaus, Spitalgasse 6, im Jahre 1977.
Das Fachwerkgebäude wurde im Jahre 1976 von Privatleuten gekauft und im Jahre 1977 vom Putz befreit und mustergültig instandgesetzt. Bei der Freilegung des Fachwerks kam am südöstlichen Eckständer an der Traufenseite des Gebäudes das bisher unbekannte Jahr der Erbauung, das Jahr 1655 zum Vorschein und ein sogenanntes "Schreckmännchen". Dieses Schreck- männchen war vom Erbauer früher dazu bestimmt, bösen Geistern den Einzug in das Haus zu verwehren, damit nur Friede und Eintracht unter seinem Dach walte. Die Presse kommentierte damals dieses Ereignis mit folgenden Worten: "Hinter altem Putz kam das "Schreckmännchen" hervor. Bei Arbeiten am Fachwerkhaus Spitalgasse 6 wurde eine kleine Kostbarkeit entdeckt".