Burg

Burgenforschung

Die Burg als Berufsfeld


Der selbständige Mittelalterarchäologe Dr. Joachim Zeune hat etwas geschafft, wovon die meisten Menschen nur träumen: Er hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Seit 1995 betreibt er ein „Büro für Burgenforschung", anfangs in Bamberg, jetzt in Eisenberg/Zell im Allgäu. Die Redaktion der Zeitschrift „DAMALS“ sprach mit ihm über diese in Deutschland einzigartige Einrichtung.

INTERVIEW

DAMALS: Welche Art von Dienstleistungen bieten Sie in Ihrem „Büro für Burgenforschung" an?

ZEUNE: Wir machen praktisch einen Komplettservice um Burgruinen und Burgen herum. Das geht von Bauforschung, Bauanalyse, Archäologie, Dokumentation, Schadenskartierung, Sanierungskonzepten über Archivalien bis hin zu didaktischen und touristischen Erschließungen und Publikationen.

DAMALS: Was bedeutet „didaktische Erschließung"?

ZEUNE: Wenn ein Besitzer möchte, daß die Öffentlichkeit mehr über seine Ruine erfährt, übernehmen wir die Aufgabe, Infotafeln herzustellen, Führer zu schreiben, Arbeitshefte für Schulklassen und auch Monographien zu verfassen.

DAMALS: Wie entstand die Idee, ein solches Büro einzurichten?

ZEUNE: Es begann damit, daß ich als Jugendlicher schon sehr großes Interesse an Burgen hatte. Ein Problem war, daß es wenig gute Literatur gab. Ich habe mich dann als Autodidakt in die Burgenforschung eingearbeitet. Einen Lehrstuhl gab es ja damals noch nicht, der besteht erst seit 1982 mit der Mittelalterarchäologie in Bamberg Ich bin in diese Lücke hineingestoßen, habe an der Universität mein Wissen vervollständigt. Es bestand Bedarf, denn über Burgen wurde wenig seriöse Forschung betrieben. Von daher hat es sich angeboten, mich nach Beendigung der Unizeit in der Burgenforschung selbständig zu machen.

DAMALS: Finanziert sich Ihr Büro als reines Wirtschaftsunternehmen?

ZEUNE: Ja, wir arbeiten als Unternehmen. Und ich bin praktisch derjenige, der die anfallenden Arbeiten an die verschiedenen Mitarbeiter delegiert. Ich betreibe sozusagen die „Schaltzentrale", in der alle Fäden zusammenlaufen.

DAMALS: Wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie?

ZEUNE: Wir sind ziemlich viele Mitarbeiter aus lauter verschiedenen Disziplinen. Die moderne Burgenforschung ist eine interdisziplinäre Forschung, dementsprechend sind Kunsthistoriker, Historiker, Bauforscher und Archäologen beteiligt. Außerdem arbeiten ein Statiker und ein Architekturfotograf freiberuflich für mich. Hinzu kommen noch Studenten, die zeitweise mitwirken. Mitunter, wenn wir zu Hochzeiten drei, vier Projekte parallel laufen haben, beschäftigen wir rund zwölf Leute. Normal ist ein Umfang von ein oder zwei Projekten und etwa sechs Mitarbeitern.

DAMALS: Ihre Aufträge erhalten Sie aus dem ganzen Bundesgebiet?

ZEUNE: Ja, aber auch aus dem Ausland. Wir haben Projekte in Osterreich und Italien, im Moment sind wir dabei, eines in Frankreich aufzubauen. Aber die meisten Aufträge erhalten wir aus Bayern. Dann gibt es am Rhein oder in Nordrhein-Westfalen noch Gegenden, in denen wir öfter zu tun haben. Mit dem heutigen „Burgenboom" boomt natürlich auch unser Büro ein bißchen.

DAMALS: Setzt sich Ihr Kundenkreis eher aus Institutionen oder aus Privatpersonen zusammen?

ZEUNE: In erster Linie sind es im Moment Landkreise oder Kommunen, Städte, die uns Aufträge erteilen, seltener private Besitzer. Ab und zu tritt auch ein Landesamt für Denkmalpflege mit Auftragsarbeiten an uns heran. In dem Bereich gehen die Mittel zur Zeit allerdings ein bißchen zur Neige.

DAMALS: Dominieren bei den privaten Auftraggebern alteingesessene Familien oder „neue Burgherren"?

ZEUNE: Potentielle Kunden sind eher Menschen, die eine Burg erwerben und dann etwas über sie erfahren oder sie erschließen, sie vielleicht auch wiederherrichten wol-len. Die alteingesessenen Familien sind unter den privaten Kunden seltener vertreten.

DAMALS: Im 19. Jahrhundert stellte man bekanntlich einen völlig anderen Anspruch an Restaurierungen. Was halten Sie vom Wiederaufbau von Burgen, sowohl damals als auch heute?

ZEUNE: Man muß natürlich immer im Auge behalten, daß eine Burg, so wie sie da steht, ein Geschichtsdokument mit einer ganz eigenen Baugeschichte ist. Wenn man eine Burgruine wiederherrichtet, macht man zwangsläufig viel kaputt. Es müssen etliche Dinge eingebaut werden: Entsorgung, Versorgung, sanitäre Anlagen und vieles mehr. Vom Originalbestand bleibt letztlich wenig übrig. Von daher würde ich sagen, wenn eine Burg nicht mehr bewohnt war, baue ich eine Ruine nicht für irgend jemanden wieder auf.

DAMALS: Sie sehen das Objekt dann eher als Denkmal an?

ZEUNE: Ja, als eine einzigartige Geschichtsurkunde würde ich es betrachten, in der ich nicht „herumkritzeln" und „herumpfuschen" will. Es gibt andere Leute, die so et-was tun, aber das will auf keinen Fall ich sein! Es beginnt im 19. Jahrhundert mit den Wiederaufbaumaßnahmen, die unter dem Namen „Restaurierung" liefen. In dieser Zeit haben die Menschen das, was sie haben wollten, auch errichtet. Stellenweise führte das zu absoluten Katastrophen. Auch heutzutage machen Burgsanierer so etwas, vor allem, wenn keine Fachbehörde beteiligt ist.

DAMALS: Wo liegen heute die Schwierigkeiten bei der Burgsanierung?

ZEUNE: Ein alter Streit in der Denkmalpflege besteht zwischen Restaurieren oder Konservieren. Erst in den letzten paar Jahren hat sich das Denkmalamt dazu entschlossen, auch einmal „nein" zu sagen. Ich bin der Meinung, daß Rekonstruktionen besser im Kopf ablaufen sollten. Man kann zum Beispiel eine Infotafel mit schönen Zeichnungen aufstellen, das ist eine sinnvolle Sache. Man kann doch eine Ruine einfach stehen lassen und sie für die Öffentlichkeit durch Infotafeln erschließen. Also eine sanfte Nutzung vornehmen, entgegen dem absoluten Nutzungswahn, den wir seit der „Charta von Venedig" erleben.

DAMALS: Was ist die „Charta von Venedig"?

ZEUNE: 1964 haben sich Denkmalpfleger in Venedig getroffen und eine internationale Richtlinie festgelegt, einen richtigen Katalog für die Denkmalpflege. Diese Charta besagt, daß ein Objekt neu genutzt werden kann, wenn es diesem zum Erhalt dient, und daß in dem Fall auch Umbauten zu verantworten sind. Diese müssen aber aus einem Material bestehen, dem man ansieht, daß es sich um Umbauten handelt. Das hat dann dazu geführt, daß in jede Burgruine ein Hotel oder eine Gaststätte hineingekommen ist, oder auch ein Museum, und damit moderne Baumaterialien, die auf Burgen nichts zu suchen haben, wie zum Beispiel Beton, Stahlbeton und Klinkersteine. Ein Lokal in einer Burg ist immer eine Katastrophe: Zufahrtswege, Ent- und Versorgung, sanitäre Anlagen ziehen Baumaßnahmen nach sich, die die alte Substanz zerstören. Auch ein Museum wirkt sich schädlich aus, weil es eine bestimmte Belichtung und Temperatur erfordert; der Zugang muß oft behindertengerecht gestaltet werden, was von der ursprünglichen Idee einer Burg ja nun ganz weit entfernt ist. Ich mache viele Burgensanierungen und habe mit vielen Sanierungs- und Restaurierungskatastrophen zu tun. Man wird in der Beziehung nicht dickhäutiger, ich rege mich heute noch genauso darüber auf - auch öffentlich. Es gibt sogar Ge-meinden, in denen ich deshalb Hausverbot habe.

DAMALS: Warum werden Maßnahmen genehmigt, die die alte Substanz zerstören?

ZEUNE: Das hat viel mit dem sogenannten Freizeitwert zu tun. Es gab eine Zeit, in der Gemeinden entdeckten, daß das Mittelalter hohes Interesse in der Bevölkerung genießt. Eine Gemeinde im Bayerischen Wald zum Beispiel hatte eine kleine Burgruine mit einem etwa sechs Meter hohen Turmstumpf. Man fing dort an, die Burg nicht nur komplett auszugraben, sondern ihren Turm gleich aufzustocken und ihn in ein 24 Meter hohes Ungetüm zu verwandeln. Bei einem anderen Projekt ging es um eine Burgsanierung. Dort hatte sich ein „Verein zum Wiederaufbau der Burgruine" gegründet. Seine Mitglieder haben mit der Sanierung ihrer Burgruine begonnen, was am Anfang auch gut lief. Durch ein Burgfest bekam das Ganze aber eine Eigendynamik. Man fing an, Toiletten einzubauen, ein Dach einzuziehen, schließlich benötigte man abschließbare Räume, in denen man Bier und Nahrungsmittel lagern konnte. Dann hat man für eine Kellerbar ein Gewölbe eingebaut. Es wurden weitere Burgfeste veranstaltet, worauf die Gesundheitsbehörde mehr sanitäre Einrichtungen forderte. Auch die Versorgung mußte ausgebaut werden. Am Schluß wurde im Bergfried ein Turmstüberl eröffnet, dann ein Museum eingerichtet. Schließlich sollte die Burg verschließbar werden, weshalb man die Burgmauern wiedererrichtet und ein Tor eingesetzt hat. Inzwischen veranstaltet man dort Musikfestivals und andere große Feste. Es findet eine intensive Nutzung statt, von der Ruine selbst ist gar nichts mehr zu erkennen.

DAMALS: Kann einem der Denkmalschutz helfen, gegen solche „Bausünden" vorzugehen?

ZEUNE: Die Denkmalpflege ist stellenweise einfach personell überfordert, hat zu viele Objekte zu betreuen und zuwenig Leute. Außerdem ist ihr Einfluß letztlich begrenzt, wenn politische Erwägungen hinzukommen, da der oberste Denkmalschützer immer der Landrat des jeweiligen Landkreises ist. Und das Ganze hat natürlich auch eine finanzielle Dimension. Da immer weniger Geld vorhanden ist, werden einfach die billigsten Lösungen angestrebt. Andererseits wirkt sich die schlechte Finanzlage auch positiv aus: Heute achten die Träger wieder darauf, wie man mit wenig Geld möglichst viel sichern kann. Maßnahmen, die früher in einem Jahr passiert sind, ziehen sich heute über einen Zeitraum von drei, vier Jahren, was ein gutes Tempo für eine Sanierung ist. Man kann zwar weniger tun, aber das behutsamer. Daher ist es aus unserer Sicht gar nicht mal schlecht, daß nicht mehr in dem Maß Geld vorhanden ist, auch wenn man manchmal ins andere Extrem abrutscht.

DAMALS: Hat ihr Büro auch Erfahrungen mit Objekten in den neuen Bundesländern gemacht?

ZEUNE: Eigentlich nicht. Ich war einer von denjenigen, die ganz bewußt hier geblieben sind, als dort die große Absahnerei angefangen hat. Es gab zwar ein paar Angebote, die ich aber abgelehnt habe.

DAMALS: Aber von der sanierungsbedürftigen Bausubstanz her müßte dort für Sie ein wahres Paradies sein?

ZEUNE: Sicher besteht dort ein irrsinniger Bestand an unverfälschter Denkmalsubstanz, die absolut erhaltenswert ist. Aber es passiert genau dasselbe wie bei uns vor 30 Jahren: Es wird mit Objekten spekuliert. Der Vorteil unserer Arbeitsweise ist, daß man über das Objekt selbst sehr viel erfährt. Wenn man dann ein wirklich hervorragendes Objekt erforscht hat, ist es um so dramatischer, zu wissen: Es wird anschließend kaputtrestauriert. Sich da zu beteiligen ist eine Einstellungsfrage, und ich sage da nein. Eine Ruine so zu sanieren, daß sie noch ein paar hundert Jahre hält und man nicht das Gefühl hat, etwas zerstört zu haben, ist Verantwortung genug. Das ist die Philosophie, die ich habe und die meine Mitarbeiter teilen.

Quelle: DAMALS, Geschichte, Jg. 1997, H. 8, S. 47-48.
Das Interview führte Benedikt Leder.
Die Zustimmung zur Veröffentlichung unter "dreieichenhain.de" wurde mit freundlicher
Genehmigung durch den Redakteur der Zeitschrift Uwe Oster erteilt.

Weitere Informationen zur
Burgenforschung